Modul 4: Farbsehen – Wie Farben entstehen und warum sie wirken

Warum ist der Himmel blau? Warum wirkt Rot anregend? Und wie unterscheiden unsere Augen überhaupt Farben? Dieses Modul führt dich in die Welt des Farbsehens. Wir schauen, wie Zapfen auf der Netzhaut für Farbwahrnehmung sorgen, wie Farben im Gehirn „entschlüsselt“ werden – und warum manche Menschen Farben ganz anders sehen.

Von Gastautor Johann

5/24/2025

low-angle photography of building interior
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Modul 4: Farbsehen – Wie Farben entstehen und warum sie wirken

Farben sind für das Lichtdesign ein zentrales Gestaltungsmittel. Ob dramatisches Rot, kühles Blau oder sanftes Pastell – Farben beeinflussen, wie wir Stimmungen, Räume und Handlungen wahrnehmen. Doch wie entsteht der Farbeindruck überhaupt?

Trichromatische Farbtheorie (Young, Helmholtz, Maxwell)

Diese Theorie besagt: Es gibt drei Typen von Zapfen (Photorezeptoren) in der Netzhaut:

  • S-Zapfen → empfindlich für Blau

  • M-Zapfen → empfindlich für Grün

  • S-Zapfen → empfindlich für Rot

Farben entstehen durch die relative Aktivierung dieser drei Zapfentypen, werden also „gemischt" (additive Farbmischung) - wir haben schließlich keine Zapfen für z.B. Gelb oder Orange.

Der Ort der Umsetzung des Farbsehen ist also schon im Auge in den Photorezeptoren (Zapfen) der Netzhaut (Retina).

Gegenfarbtheorie (Hering)

Diese Theorie ergänzt die Trichromatische Theorie: Das visuelle System verarbeitet Farben in Gegensatzpaaren:

  • Rot – Grün

  • Blau – Gelb

  • Schwarz – Weiß (für Helligkeit/Hell-Dunkel)

Eine Zelle, die auf „Rot“ reagiert, wird gleichzeitig durch „Grün“ gehemmt – und umgekehrt (laterale Hemmung). Das erklärt, warum wir keine „grünlichen Rottöne“ oder „gelblichen Blautöne“ sehen können – solche Mischungen widersprechen dem Gegenspiel.

Dafür zuständig sind hier die retinalen Ganglienzellen und später im Sehnerv.

Beide Theorien sind komplementär und korrekt, nur auf verschiedenen Ebenen der Verarbeitung:

Durch die Kombination dieser Faktoren, kann man erklären was praktische Experimente zeigen:

(Gesunde) Menschen erkennen:

  • ca. 200 verschiedene Farbtöne

  • ca. 500 verschiedene Helligkeitsstufen

  • ca. 20 verschiedene Sättigungsstufen (wie „rein“/„weißlich“ eine Farbe wirkt)

Also 200 × 500 × 20 = ca. 2 Millionen Farben.

Im Folgenden gehen wir genauer auf die hier angerissenen Themen ein.

Die biologischen Grundlagen – Zapfen auf Empfang

In der Netzhaut (Retina) unseres Auges gibt es drei Typen von Zapfenzellen. Jeder reagiert auf einen bestimmten Bereich des sichtbaren Lichtspektrums:

  • L-Zapfen (langwellig): am empfindlichsten für langwelliges Licht → Rot (ca. 565 nm)

  • M-Zapfen (mittelwellig): empfindlich für mittelwelliges Licht → Grün (ca. 535 nm)

  • S-Zapfen (kurzwellig): empfindlich für kurzwelliges Licht → Blau (ca. 420 nm)

Jede einzelne Zapfe „misst“ nur, wie stark sie vom Licht angeregt wird – Farbe entsteht erst im Gehirn, durch den Vergleich der Aktivierungsmuster aller drei Zapfentypen. Die drei Zapfentypen arbeiten nach dem Prinzip der Trichromasie (Young-Helmholtz-Theorie). Durch ihre unterschiedliche spektrale Empfindlichkeit können in Kombination nahezu alle Farbtöne abgebildet werden.

Wie ein Farbeindruck entsteht – ein Beispiel

Wenn gelbes Licht (ca. 580 nm) auf die Netzhaut fällt:

  • Die L-Zapfen (langwellig) reagieren stark.

  • Die M-Zapfen (mittelwellig) reagieren etwas.

  • Die S-Zapfen (kurzwellig) reagieren kaum.

Diese Signalverteilung wertet das Gehirn als „Gelb“. Das bedeutet: Farbe ist kein fester Reiz, sondern ein relatives Muster aus Reaktionen. Diese relative Bewertung erfolgt durch Gegenfarbenneurone, die in der Retina und in anderen Hirnregionen die Signale der Zapfen gegeneinander verrechnen (z. B. Rot-Grün, Blau-Gelb).

Additive Farbmischung

Wahrgenommene Lichtfarben entstehen also nur durch L-, M- und S-Zapfen, andere Farben entstehen durch additive Farbmischung.

  • Rot + Grün = Gelb

  • Blau + Grün = Cyan

  • Rot + Blau = Magenta

  • Rot + Grün + Blau = Weiß

Die additive Farbmischung wirkt über die gleichzeitige Erregung aller drei Zapfentypen. Je nach Zusammensetzung (mehr Blau oder mehr Rot) verändert sich auch die subjektive Weißwahrnehmung. Neuronal geschieht das durch Verschaltung der Zapfensignale in Hirnregion V1 und Farbzellen in Hirnregion V4.

FACT:

  • Ein LED-Scheinwerfer, der „Weiß“ zeigt, kann ganz unterschiedlich wirken – je nachdem, welche RGB-Verhältnisse das Licht hat, wie die Umgebung gefärbt ist oder ob eine Nebelmaschine das Streulicht verändert.

Die drei Bausteine von Farbsehen

Farbsehen hat drei Dimensionen:

  • Farbton (rot, blau, grün…)

  • Sättigung (kräftig oder blass)

  • Helligkeit (hell oder dunkel)

Welche von verschiedenen Teilen der Sehbahn des Gehirns verarbeitet werden und dann zu einer Farbwahrnehumg zusammengesetzt werden.

Die Helligkeit wird durch die Lichtintensität moduliert und über separate Signalwege im magnozellulären System verarbeitet. Die Wahrnehmung der Farbart (Farbton + Sättigung) basiert auf anderen Bahnen, den sogenannten parvozellulären und koniozellulären Bahnen.

FACT:

  • Ein blasses Rosa kann bei vollem Licht elegant wirken – bei schwachem Licht aber schmutzig oder fahl. Umgekehrt kann ein tief gesättigtes Rot bei zu hoher Helligkeit aggressiv oder grell erscheinen.

Farbkontraste – Sehen funktioniert im Vergleich

Das Auge erkennt Farben relativ, nicht absolut. Entscheidend ist der Kontrast zur Umgebung.

Die relative Farberkennung wird durch Zentrum-Peripherie-Gegenfarbenverschaltungen in den rezeptiven Feldern der Ganglienzellen ermöglicht. Besonders Doppelgegenfarbenneurone in den Hirnregionen V1/V2 verstärken diesen Kontrasteffekt.

Die laterale Hemmung wirkt auch im Farbsehen: Ganglienzellen mit Gegenfarbenverschaltungen (z. B. Rot-Grün) reagieren auf Unterschiede zwischen benachbarten Farbreizen.
Diese „Zentrum-Peripherie“-Verschaltung wird durch On-/Off-Zellen unterstützt und verstärkt Farbübergänge – ein rotes Objekt auf grünem Hintergrund wirkt dadurch besonders leuchtend.
→ Das ist der neurobiologische Grund, warum Komplementärfarben auf der Bühne so stark wirken.

FACT:

  • Ein orangefarbener Bühnenhintergrund wirkt leuchtend, solange das Licht eher bläulich ist. Wechselt man zu warmweißem Licht, erscheint das Orange plötzlich dumpfer.


Farbkonstanz – unser Gehirn rechnet mit

Unser visuelles System gleicht Beleuchtung automatisch aus.
Ein grüner Vorhang bleibt grün – egal ob bei Sonnenlicht oder LED. Das nennt man Farbkonstanz.

Dafür integrieren die Nervenzellen aus der Hirnregion V4 visuelle Informationen aus größeren Gesichtsfeldbereichen und ermöglichen so Farbkonstanz durch Vergleich von Objekt- und Hintergrundsignalen.

FACT:

  • Farbtemperatur-Wechsel (z. B. von 3200 K auf 5600 K) beeinflussen das Bühnenbild weniger stark als gedacht – solange die Gesamtlichtsituation im Gleichgewicht bleibt.
    Aber: Kameraaufnahmen zeigen diese Farbwechsel deutlich! Hier gibt es keine Farbkonstanz – daher wirken Fotos oder Livestreams oft „anders“ als die echte Bühne.

Gegenfarben und Kontrastverstärkung

Das Gehirn nutzt „Gegensätze“, um Farben schärfer zu sehen:

  • Rot ↔ Grün

  • Blau ↔ Gelb

Diese sogenannten Gegenfarben erzeugen starke Kontraste. Wenn beide nebeneinander liegen, wirkt das Bild „knackiger“.

Dafür gibt es im Corpus geniculatum laterale und in der Sehrinde extra spezialisierte Gegenfarbenneurone, in der Hirnregion V1 Doppelgegenfarbenneurone, die exakt auf diese Farbgrenzen reagieren.

FACT:

  • Diese Prinzipien nutzt man bewusst bei Bühnenkostümen oder Lichtszenen:
    Ein gelbes Kleid vor einem blauen Hintergrund wirkt besonders leuchtend.
    Ein grünes Kostüm in grünem Licht verschmilzt optisch.

Farben wirken emotional

Unser Gehirn verbindet Farben mit Stimmungen und Kontexten:

Studien¹ zeigen, dass bestimmte Farben verstärkt Aktivität in emotionalen Zentren wie dem limbischen System auslösen können. Diese Reaktionen sind kulturell geprägt, aber neurobiologisch verankert.

Farbe

Wirkung / Einsatz auf der Bühne

Blau

kühl, ruhig, Nacht, Distanz

Rot

Energie, Gefahr,Leidenschaft

Grün

Natur, Ruhe, manchmal auch Krankheit

Gelb

Sonne, Wärme, Aufmerksamkeit

Weiß

Neutralität, Reinheit, manchmal Kälte

(Schwarz)

Mystik, Gefahr

FACT:

  • Farben erzeugen Erwartungshaltungen.

    Bei Billie Eilish-Konzerten wird grünes Licht gezielt zur emotionalen Dissonanz eingesetzt – obwohl Grün für „Natur“ steht, wirkt es in der dunkler Szenerie eher unheimlich und distanziert.

  • Farbverläufe erzählen Geschichten. Bei Harry Styles’ „Love On Tour“ werden Lichtfarben stufenweise verändert (z. B. von Rosa → Rot → Orange), um emotionalen Wandel eines Songs visuell zu begleiten. Visuelles „Moodboarding“ parallel zur Musik.

¹Für Vertiefung empfehlen wir:

Farbsehen im Grenzbereich – Nacht und Nebel

Bei schwachem Licht übernehmen die Stäbchen das Sehen – sie sind sehr lichtempfindlich, aber farbunfähig. Deshalb:

  • In Dämmerung oder Nebel: Alles wird grauer

  • Rote Farben verlieren ihre Leuchtkraft zuerst

  • Blau und Grün bleiben länger sichtbar (→ Purkinje-Effekt)

Die Stäbchen besitzen nur ein Fotopigment (Rhodopsin), das besonders empfindlich für kurzwelliges Licht ist. Dadurch verschieben sich die wahrgenommenen Helligkeiten (Purkinje-Effekt). Die geringere Farbempfindlichkeit bei schwachem Licht entsteht, weil die Zapfen nicht ausreichend aktiviert werden.

FACT:

  • Bei Nachtszenen lieber mit blauem Licht arbeiten als mit Rot – das wirkt in dunkler Umgebung sichtbarer und authentischer.
    → Deshalb werden „Nachtfilter“ oft mit kühlem Blau oder dunklem Cyan gemacht.

Psychologie trifft Physik

Zwei scheinbar identische Farben können subjektiv unterschiedlich wirken – je nach:

  • Umgebung

  • vorheriger Lichtsituation (Adaptation)

  • emotionalem Zusammenhang

Farb- und Helligkeitsadaptation erfolgt durch neuronale Anpassung in der Retina und dem visuellen Kortex. Die Verarbeitung im Gehirn berücksichtigt Kontextinformationen und emotionale Bewertung – Farben sind also immer auch Interpretation.

FACT:

  • Gleichfarbige Kostüme können unter anderem Licht plötzlich sehr unterschiedlich erscheinen.

→ Licht- und Kostümbesprechung abstimmen:

Welche Farben harmonieren? Welche konkurrieren?

  • Farbwechsel triggern Erinnerung. Bei Taylor Swift’s „Eras Tour“ werden bestimmte Farbpaletten mit Alben (Eras) verknüpft – z. B. Pastelllila für „Lover“, Goldtöne für „Fearless“. Farben schaffen sofortige emotionale Assoziation.

©CC BY-SA 3.0 abgeleitetes Werk: Kopiersperre / Cone-response.svg: Mike Weidemann - Absorptionsmaxima der Fotorezeptoren.jpg