Modul 3: Die Netzhaut
Die Netzhaut ist viel mehr als eine bloße Leinwand fürs Bild – sie ist ein kleines Kraftwerk der Informationsverarbeitung. Hier treffen Lichtreize auf spezialisierte Sinneszellen, und aus Helligkeit, Farbe und Kontrast entsteht das erste „Bild“. In diesem Modul lernst du, wie aus Lichtreizen elektrische Signale werden – und warum die Netzhaut dabei eigentlich ein kleines Stück Gehirn ist.
Von Gastautor Johann
5/23/2025
Modul 3: Die Netzhaut
Die Netzhaut (Retina) ist die lichtempfindliche Schicht im hinteren Auge. Hier beginnt die eigentliche Verarbeitung des Sehreizes:
Stäbchen: Hell-Dunkel-Erkennung, besonders bei Dämmerung oder Dunkelheit.
Zapfen: Farbsehen und Schärfe, aber nur bei ausreichend Licht möglich.
Bipolarzellen & Ganglienzellen: Diese Zellen leiten das Lichtsignal in Richtung Gehirn.
Hilfszellen (z. B. Horizontal-, Amakrinezellen): Sie verstärken Kontraste und helfen beim Erkennen von Kanten und Bewegungen.
Eine wichtige Rolle spielt dabei die laterale Hemmung – ein Mechanismus, bei dem benachbarte Nervenzellen sich gegenseitig hemmen. Diese Verschaltung durch Horizontal- und Amakrinzellen sorgt dafür, dass Unterschiede im Lichtreiz (z. B. Helligkeits- oder Farbübergänge) besonders betont werden. Kanten und Kontraste erscheinen dadurch schärfer.
Besonders beteiligt sind sogenannte On- und Off-Zellen:
On-Zellen reagieren auf das Einschalten (Zunahme) von Licht im Zentrum.
Off-Zellen reagieren auf das Ausschalten (Abnahme) von Licht.
Durch die Kombination dieser Zelltypen kann die Retina Helligkeitsunterschiede, Übergänge und Bewegungen sehr effizient erkennen – lange bevor das Signal das Gehirn erreicht.
Psychophysisches Beispiel zur lateralen Hemmung:
Beide Kreise haben die selbe Graustufe, wirken aber auf unterschiedlichen hellen Hintergründen unterschiedlich hell.
Erklärung:
Die graue Fläche auf dunklem Hintergrund liegt neben wenig aktiven (dunklen) Bereichen. Die benachbarten Zellen hemmen die graue Fläche nur schwach → sie erscheint heller.
Die graue Fläche auf hellem Hintergrund liegt neben stark aktiven (hellen) Bereichen. Diese aktivieren ihre Nachbarn weniger, aber hemmen sie stärker → die graue Fläche erscheint dunkler.
Besonders spannend: Schon in der Netzhaut wird das Bild „vorverarbeitet“ – Kontraste und Helligkeitsunterschiede werden betont, bevor das Signal überhaupt im Gehirn ankommt.
Licht ist nicht immer gleich hell – und unser visuelles System ist dafür gemacht, sich an extrem unterschiedliche Helligkeiten anzupassen: von Mondschein bis Scheinwerferlicht.
Zwei Systeme: Zapfen und Stäbchen
Unser Auge nutzt zwei unterschiedliche Zelltypen, je nach Lichtmenge:
Zapfen → aktiv bei Tag, erkennen Farben, brauchen viel Licht
Stäbchen → aktiv bei Nacht, erkennen Helligkeit, keine Farben, extrem lichtempfindlich
Helladaption – vom Dunkeln ins Licht
Wenn man aus einem dunklen Backstagebereich ins Sonnenlicht tritt, dauert es einige Sekunden, bis man wieder klar sieht. Das liegt an mehreren Anpassungsmechanismen:
Pupillenverengung: Schnell – reduziert die Lichtmenge
Deaktivierung der Stäbchen: Sie „übersteuern“ bei viel Licht
Aktivierung der Zapfen: Übernehmen die Wahrnehmung bei Helligkeit
Abbau von Sehpigmenten: Besonders Rhodopsin, das bei Licht zerfällt
Dauer der Anpassung: wenige Sekunden bis wenige Minuten
Dunkeladaption – vom Licht in die Dunkelheit
Wechselt man in einen dunklen Raum, sieht man zunächst kaum etwas – erst nach und nach „gewöhnen“ sich die Augen an die Dunkelheit:
Pupillenerweiterung: Lässt mehr Licht ins Auge
Wiederaufbau von Rhodopsin in den Stäbchen: Braucht Zeit
Umschaltung von Zapfen- auf Stäbchenbetrieb: Nach etwa 7–10 Minuten
Vollständige Dunkeladaption: Kann bis zu 30 Minuten dauern
Der Kohlrausch-Knick ist ein charakteristischer Knick in der Dunkeladaptationskurve des Auges, der den Übergang vom Zapfen- zum Stäbchensehen markiert. Dieser Übergang tritt ein, wenn die Stäbchen eine höhere Lichtempfindlichkeit erreichen als die Zapfen, nachdem das Auge an die Dunkelheit adaptiert wurde.
Besondere Phänomene
Purkinje-Effekt: Bei Dämmerung wirken blaue Objekte heller als rote, weil Stäbchen auf kurzwelliges Licht empfindlicher reagieren.
Flimmerfusionsfrequenz sinkt: Schnelle Lichtwechsel (z. B. Stroboskop) werden bei Dunkelheit weniger gut erkannt.
Räumliche Auflösung sinkt: In dunkler Umgebung sieht man unschärfer, weil in der Fovea kaum Stäbchen vorhanden sind.
FACTS:
Blackouts oder Lichtwechsel auf der Bühne sollten bedacht geplant sein – plötzliche Dunkelheit „blendet umgekehrt“ (Dunkelblindheit).
Blaues Licht wirkt in dunkler Umgebung heller (Purkinje-Effekt).
Augenschonende Hintergrundleuchten (rot) im Backstage-Bereich helfen dem Team, bei Dunkelheit zu sehen, ohne die Dunkeladaption zu stören.
Dunkelblau = „sichtbare Dunkelheit“
In „The Wall Live“ von Roger Waters (Pink Floyd) wird Dunkelheit oft durch tiefblaues Licht simuliert, das für Kameras noch sichtbar ist, aber vom Publikum als „Nacht“ empfunden wird.


©CC BY-SA 4.0 abgeleitetes Werk: Pancrat / Retina.svg: Mike Weidemann - Die Netzhaut.jpg



